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Neben der Schwierigkeit des Verstehens steht auch die Gefahr
des Miss-Verstehens. Das christliche Menschenbild betont die
Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit des geschaffenen
Menschen. Weil Gott den Menschen „individuell und unver-
wechselbar“ geschaffen und ihn „zur Freiheit berufen“ (Gal
5,13) hat, könnte dies mit einer Freiheit
von
Bindungen, ein-
engender Festlegungen und Definitionen verwechselt werden.
Das „Menschenbild“ wäre so zu einem „Freibrief“ für die Indi-
vidualität abgewertet. Das christliche Menschenbild aber ak-
zeptiert doch gerade den Menschen mit seinen Fehlern, Brü-
chen und Unzulänglichkeiten. Dabei kann man es jedoch nicht
bewenden lassen. Für den Lehrer heißt dies, an sich zu arbei-
ten, seine Defizite zu erkennen und sie auszugleichen, seine
Persönlichkeit zu vervollkommnen. K
ÄSTNER
(1933/2004,
S. 90, zit. nach K
UNTER
/T
RAUTWEIN
2013, S. 179) lässt einen
Schüler in seinem „Fliegenden Klassenzimmer“ sagen: „Wir
brauchen Lehrer, die sich entwickeln müssen, wenn sie uns
entwickeln wollen.“ Das gilt heute – und in besonderem Maße
für Freie Schulen – genauso.
Es bedarf wohl mehr als bisher einer guten Vermittlung des-
sen, was wir meinen mit „Leitbild unserer Erziehung und Bil-
dung ist das christliche Verständnis vom Menschen“ (M
ARCH-
TALER
P
LAN
2002, S. 10), einer Vermittlung und gleichsam einer
„Übersetzung“.
4.2.2
V
ERSUCHE EINER
„Ü
BERSETZUNG
“
DES CHRISTLICHEN
M
ENSCHEN-
BILDS
Beim Einführungsseminar für unsere neu eingestellten Lehr-
kräfte versuche ich seit einigen Jahren eine solche „Überset-
zung“: Tatsächlich nämlich lassen sich die „vier Grundaussa-